Feinfühlige und feste Finger


Beim Bogenschiessen spielt die Feinmotorik eine nicht unwesentliche Rolle, insbesondere diejenige der Finger der Zughand. Beim Traditionellen Bogenschiessen müssen sie einen Pfeil mit Selfnock genügend fest halten, damit er nicht von der Sehne fällt und gleichzeitig die Sehne zum vollen Auszug bringen. Anfängern fällt dies oft schwer, weil sie den Pfeil zu stark zwischen den Fingern einklemmen und der Pfeil in der Folge davon seitlich ausbricht.


Die Finger sind einerseits durch den auf sie ausgeübten Druck der Sehne gefährdet und müssen durch Schiesshandschuh oder Tab geschützt werden. Ohne diesen Schutz würden sie mit der Zeit gefühllos. Andererseits ist gerade beim Ablass ein gefühlvolles Loslassen gefordert, damit der Schuss nicht „abgerissen“ wird.


Wie bei andern Dingen beim Bogenschiessen geht es auch bei den Fingern um zwei gegensätzliche Eigenschaften, welche sich nicht ausschliessen, sondern gegenseitig ergänzen: ein kräftiger Haken zum Ziehen und ein gefühlvolles Loslassen der Sehne.


Wie setze ich meine Finger ausserhalb des Bogenschiessens ein? Zeige ich damit auf andere Menschen? Klammere ich mich verkrampft an längst Vergangenem fest? Kann ich loslassen?


Sind sie feinfühlig oder eher „taub“?


Die Finger sind jedoch auch zum Halten geschaffen: Mute ich mir zu, die Dinge auch wirklich – im wahrsten Sinne des Wortes – in die Finger zu nehmen? Anzupacken? Mit dem Risiko, dabei auch mal die Finger zu verbrennen?


Berittene Bogenschützen schiessen vielfach mit der Daumentechnik: Daumen hoch – könnte doch auch zu einem Lebensmotto für Bogenschützen werden, welche dem mediterranen Abzug den Vorzug geben.

Ohne Finger wird das Bogenschiessen zum Problem. Daher wurden im Mittelalter den gefangen genommenen Bogenschützen vielfach Zeige- und Ringfinger der Zughand abgeschnitten. Dadurch wurden sie als Bogenschützen „unbrauchbar“. Das berühmte V-Zeichen (Victory) will zum Ausdruck bringen: Ich habe meine Finger noch! Mit mir ist noch zu rechnen!

Die Wichtigkeit der Finger nimmt man erst wirklich wahr, wenn sie z.B. verletzt oder sonst wie beschädigt sind. Es lohnt sich, den Fingern (nicht nur denen, welche beim Bogenschiessen wesentlich sind) einmal etwas Aufmerksamkeit zu schenken und ihnen für ihren Dienst zu danken.


Daumen:

D wie Dazulernen und Danken
Was habe ich heute dazugelernt? Wofür möchte ich heute besonders danken?


Zeigefinger:

Z wie Zielrichtung
Wie habe ich heute an meinem (Lebens-)Ziel gearbeitet? Bin ich in der Zielrichtung geblieben?
Wo bin ich ihr näher gekommen? Wo habe ich sie eher aus den Augen verloren?


Mittelfinger:

M wie Mentalität (Anschauungs- und Sinnenweise)
Was war mir heute wichtig? Wie habe ich mich heute gefühlt? Wann gut? – Wann nicht so gut?


Ringfinger:

R wie Ratgeber (Nächstenliebe)
Wem habe ich heute geholfen? Wem habe ich heute zugehört?


Kleiner Finger:

K wie Körper
Wie habe ich heute meinen Körper erfahren? Was habe ich heute für meinen Körper getan?


aus: Liliane Juchli: «PFLEGEN, BEGLEITEN, LEBEN», Seite 141