Ohne Schwingung geht es nicht

Schwingungen und Wellen sind allgegenwärtige Phänomene. In der Wissenschaft spricht man immer davon, wenn sich etwas in regelmässigen zeitlichen oder räumlichen Abständen wiederholt. Beispiele aus dem Alltag: Pendel, Wasserwellen, Schall oder aber auch Licht. Schwingungen und Wellen spielen z.B. eine Rolle, wenn man ein Instrument spielt, in der Medizin mit Ultraschall das Innere des Körpers sichtbar macht oder beim Bogenschiessen.

Manchmal will man Entstehung und Ausbreitung von Schwingungen auch verhindern. Beim Auto- oder Bahnfahren soll es z.B. möglichst leise und frei von Erschütterungen sein. Das gelingt nicht immer und manchmal zeigt die Natur, dass man nicht alles beherrschen kann: Bei Erdbeben wackelt alles. Periodische Vorgänge – egal ob Schwingungen oder Wellen – sind einfach überall, mal winzig klein oder riesig gross.

Der Pfeilschaft wird beim Abschuss, wenn die Finger die Sehne loslassen, gestaucht; der Pfeilschaft biegt sich dabei durch und beginnt zu pendeln bzw. zu schwingen, weil der Beschleunigungsenergie des Bogens die Massenträgheit des Pfeiles (Pfeilschaft- und Pfeilspitzengewicht) entgegenwirkt. Der Pfeil windet sich praktisch um den Bogen herum. Deshalb fliegen Pfeile nicht „pfeilgerade“. Erst nachdem sie sich einige Meter nach dem Abschuss eingependelt haben, fliegen Pfeile (hoffentlich) ruhig und ohne horizontale und vertikale Schwingungen. Bei verschiedenen Recurve- oder Langbögen ist das Bogenfenster unterschiedlich tief ausgeschnitten. Abhängig von der Tiefe dieses Ausschnitts und dem Mass, das das Bogenfenster im Verhältnis zur Bogenmitte hat, muss sich der Pfeil mehr oder weniger durchbiegen.

Nach jedem Schuss, wenn die Nocke des Pfeils die Sehne verlassen hat, schwingt die Sehne so lange nach, bis sie sich wieder in ihrer Ruheposition befindet. Dieses Nachschwingen kann als Vibration manchmal in der Bogenhand spürbar oder hörbar wahrgenommen werden. Je weiter die Bogensehne schwingt (Amplitude) und je mehr Teile des Bogens selbst zum Mitschwingen angeregt werden (Resonanz), desto lauter ist der Ton. Der Effekt ist ähnlich wie bei einer angeschlagenen Instrumenten-Saite. Zu leichte Pfeile können das Problem zusätzlich verstärken.

Stabilisatoren bei olympischem Recurve und beim Compound-Bogen verlagern das Gewicht des Bogens nach vorne und dämpfen die Schwingungen des Bogens. Grundsätzlich und allgemein gilt bei einer zu geringen Standhöhe, dass die zu lange Sehne diese „flattert“ und daher mehr schwingt. Sie kann in der Folge beim oder nach dem Lösen am Arm(-schutz) anschlagen, was zumindest schmerzhaft ist und einen unsauberen Pfeilflug verursacht.

Im zwischenmenschlichen Bereich – wie beim Bogenschiessen – sollte die „Wellenlänge“ stimmen, damit etwas harmoniert, eine Resonanz ausgelöst wird. Ideal ist, wenn Bogenschütze und Material eine Einheit bilden. Auch der Bogenschütze muss mit sich selbst im Reinen sein, damit der Schuss gelingt. Resonanz bringt also etwas miteinander in Beziehung. Dies gilt für alle lebendigen Systeme und vor allem für den Menschen im Kontakt mit sich selbst und mit andern.

Manches verläuft wie der Pfeilschuss nicht geradlinig – und gleichwohl kann das (Lebens-)Ziel erreicht werden: „Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade.“ Es heisst ja nicht – Gott biegt alles gerade, sei es noch so krumm. Im Gegenteil: Gott kümmert es nicht, welchen Verlauf eine Lebenslinie nimmt – ob sie geradewegs auf ein bestimmtes Ziel zuläuft oder aber geschlängelt ist, Umwege und gar Sackgassen hat. Wesentlich ist, dass man diesen Weg mit ihm geht.

Das Leben ist ständig in Be-WEG-ung. Die meisten Wege müssen sich dem Gelände anpassen und schlängeln sich durch die Landschaft. Das Ziel des Bogenweges ist es, die eigene Mitte zu finden, den Gleichklang zu erleben mit allem, was ist. Wer so be-schwingt durchs Leben geht, ist kein sorgloser „Luftibus“, sondern passt sich den Begebenheiten an und geht zuversichtlich seines Weges.

Ruhe ist nicht bewegungsfremd, sondern nur ein Sonderfall der Bewegung.
Oswald Spengler