Eibe – das Bogenholz

Dank der zahlreichen Funde bei Pfahlbauten gilt die Schweiz als das Land der prähistorischen Pfeilbogen. Dort haben – im Wasser und unter Luftabschluss – zahlreiche Bogen «überlebt». Nach dem Rückzug der Gletscher stand für den Bogenbau vorerst nur die Ulme zur Verfügung. Bald aber folgte die Eibe und sie hatte zwei Vorteile: Das weisse Splintholz (gleich unter der Rinde) eignet sich für Zug-, das rotbraune Kernholz für Druckkräfte. Beim Bogen wirken beide auf das Holz ein. Als gewissermassen «natürliches Laminat» blieb das zähe und trotzdem elastische Holz der Eibe bis zur Anwendung von Kunststoffen und Fiberglas als Bogenbaumaterial unübertroffen.

Wegen der grossen Fäulnisresistenz fand Eibe für den Wasser- und den Wagenbau Verwendung. In altägyptischen Gräbern entdeckte man Eibenholz-Särge. Da Maserung und Farbkontraste optisch sehr interessant sind, wurde und wird Eibe sehr gern für Drechslerarbeiten und für Holzschnitzereien gebraucht. Einsatz findet es ebenfalls im Möbel- und im Musik-instrumentenbau. Die sehr schnittverträgliche Eibe hat der Gartengestaltung einen festen Platz.

Die Eibe (Taxus baccata) ist giftig (ausgenommen das gelblich-rötliche Fleisch der Samen) – für Rehe allerdings ein Leckerbissen! Weil aus ihr Gift für Pfeile gewonnen wurde, hat dies die griechische Bezeichnung für Bogen beeinflusst. Toxikon = Gift / toxon = Bogen. Sowohl Gift wie auch Pfeil und Bogen können den Tod bringen. Deshalb gilt seit dem Altertum die Eibe als Baum des Todes, weshalb sie auf Friedhöfen anzutreffen ist. Heilige Plätze, auf denen Gottesdienste und Gerichtsverfahren abgehalten wurden, sind häufig von Eiben gesäumt. Auch Zauberkräfte sagte man ihr nach. Sie wurde als Schutz vor Hexen und bösen Geistern ums Haus herum gepflanzt und bis ins 19. Jahrhundert trugen Menschen Amulette aus Eibenholz. Das älteste europäische Buch über das Bogenschiessen von Roger Ascham (1545 erschienen) trägt den Titel «Toxophilus» (= Freund des Bogens). Der Name französische Name Yves leitet sich von Eibe ab und bedeutet im übertragenen Sinn „der Bogenschütze“.

Obwohl die Eibe als Baum des Todes betrachtet wird, ist das nur die eine Seite. Nach dem Verständnis der alten Völker folgt dem Tod jedoch ein neues Leben in einer anderen Welt. Die Eibe gilt daher auch als Baum des ewigen Lebens. Dies dürfte ihren botanischen Wesenszügen zuzuschreiben sein: Die Eibe vermag sogenannte „Astsenker“ zu bilden. Hierbei wächst ein Ast, bogenförmig dem Boden entgegen, schlägt Wurzeln und entwickelt senkrecht nach oben wachsende Triebe. So entstehen im unmittelbaren Umkreis völlig „neue“ Bäume, welche identisch mit dem Mutterbaum sind. Dazu gesellt sich noch ein weiteres Phänomen – die Ausbildung von Innenwurzeln. Nach einem Alter von ca. 300 Jahren beginnt bei Eiben nicht selten eine Kernfäule im Stammesinneren. Das kann zu einer fast vollständigen Aushöhlung des Baumes führen, beim gleichzeitigem Erhalt einer entwickelten Baumkrone. Dies führt dazu, dass von innen heraus sogenannte Innenwurzeln nach unten wachsen. Wenn sie bis zum Erdboden reichen, verwurzeln sie sich und es wächst ein neuer Stamm innerhalb des hohlen Stamms heran! Daher gilt sie auch als Baum des ewigen Lebens. Wohl diesem Umstand ist zuzuschreiben, dass der Eibe anlässlich der Wintersonnwende am 21. Dezember besonderes Augenmerk geschenkt wird. Sie steht für die Übergänge im Leben: vom Dunkeln ins Licht, vom Vergehen zum Neuwerden.

Sterben und den Tod – wie denke ich darüber und was halte ich von einem Leben danach?
Habe ich auch «giftige» Züge, welche meinen Mitmenschen schaden können? Wie gehe ich mit Druck und Zug in meinem Lebensvollzug um? Wo darf/soll/muss in mir etwas sterben? Über welche Kräfte verfüge ich, um mich trotzdem «lebendig» zu fühlen, wieder «ausschlagen» zu können und neue Lichtblicke zu entdecken, damit es wieder vorwärts geht?

Denke an das Holz deines Bogens: Sei ebenso stark und zäh wie der Baum, aus dem er gefertigt wurde.

Haringke Fugmann