Der verantwortete Schuss

Der Bogen, ursprünglich ein Jagdgerät und eine gefürchtete Waffe, gilt heute als ein Sportgerät. Bogenschiessen ist nicht gefährlicher einzustufen als das Speer-, Hammer- oder Diskuswerfen – auch Sportarten ehemals auch militärischer Herkunft. Um Gefährdungen zu minimieren oder gar auszuschliessen erlassen die meisten Bogenschützenvereine Sicherheitsregeln. Fast standardmässig erscheint der Satz: Jeder Schütze ist für seinen Schuss verantwortlich!

Viele verbinden mit Verantwortung oft eher negative Gefühle. Übernimmt man Verantwortung, dann ist man ja schuld, wenn etwas schief geht Daher versuchen nicht wenige, wenn ein Missgeschick passiert, die Verantwortung von sich zu weisen oder gar jemand anderem in die Schuhe zu schieben. Sie machen die Gesellschaft, allfällige familiäre Belastungen, das Wetter, schlechtes Material, Ablenkungen etc. verantwortlich. Die Wurzel »Antwort« im Wort »Verantwortung« weist auf seine Bedeutung hin: die Fähigkeit, zu antworten, zu reagieren. Es erinnert an die alte Geschichte von Adam und Eva, wo die beiden von Gott auf ihr Verhalten angesprochen wurden und als Antwort der „schwarze Peter“ hin und her geschoben wurde (Genesis/1. Mose 3, 1ff).

Wer Entscheidungen trifft, der macht fast zwangsläufig auch Fehler. Davor haben manche Angst. Auch wenn man sich dazu entscheidet, keine Verantwortung übernehmen zu wollen, muss man dennoch für die Konsequenzen dieser Entscheidung die Verantwortung übernehmen.

Das Bogenschiessen ermöglicht besondere Erfahrungen: Man begreift die Wichtigkeit von Regeln, denn es geht zunächst um Sicherheit und darum, gemeinsam dafür verantwortlich zu sein. Ferner wird einem vor Augen geführt: Jede meiner Taten hat Konsequenzen, die nicht widerruflich sind:

Drei Dinge kann man nicht mehr ändern: das gesagte Wort, den abgeschossenen Pfeil und die verpasste Gelegenheit!

Chinesische Weisheit

Das trifft sowohl für positive als auch negative Taten zu. Im Unterschied zum stundenlangen Umgang mit virtuellen Waffen in virtuellen Welten begreift man schnell, dass der reale Umgang mit dem Bogen konkrete Konsequenzen hat. Der Schuss mit Pfeil und Bogen ist nur ungefährlich, solange man sich der Gefährlichkeit bewusst ist.

Wer ein Ziel aussucht, ist dafür verantwortlich. Wenn man es fokussiert, soll man sich nicht allein auf das Ziel konzentrieren, sondern auch auf alles, was um es herum geschieht: Denn der Pfeil wird, wenn er abgeschossen ist, auf Gegebenheiten stossen, mit denen man nicht unbedingt gerechnet hat, wie z.B. den Wind, die (grössere) Entfernung, den Winkel des Abpralles.

Besser ausgebildete Schützen haben zudem die Verpflichtung, auf das Handeln der weniger ausgebildeten Schützen zu schauen und allenfalls korrigierend einzuwirken: zum persönlichen Schutz der Schiessenden sowie für Mensch und Tier in der Umgebung.
Die Verantwortung geht über das Verhalten auf dem Schiessplatz hinaus. Es umfasst auch den verantwortlichen Umgang mit dem Material, d.h. dessen Pflege und Instandhaltung.
Wird der Bogenplatz verlassen, wird beim Aufräumen des Materials mitgeholfen und kein Unrat zurückgelassen. Ein verantwortungsbewusster Bogenschütze trägt auch Verantwortung für die Schöpfung, die Natur, denn er möchte doch in einer gepflegten Umgebung schiessen!


Beim „Gleichnis von den anvertrauten Talenten“ (Matthäus 25, 14-30) geht es auch um den Umgang mit der Verantwortung. Derjenige wird abgestraft, der aus Angst, einen Fehler zu machen, keine Verantwortung tragen wollte. Es liegt in der Logik der Gleichnisses, dass er, falls er in Konkurs geraten wäre, eine zweite Chance erhalten hätte – also einen zweiten Pfeil zum Schiessen erhalten hätte.

Bogenschiessen ist also ein gutes Übungsfeld, um zu lernen, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Die Übernahme von Eigenverantwortung fördert den Selbstwert, stärkt die Persönlichkeit und wirkt sich somit positiv auf das persönliche Umfeld und die Gesellschaft aus.