Der Bogen – ein multifunktionales Gerät

Manches archäologische, historische Fundstück gibt mehr Fragen auf, als es Rätsel löst. So wurden im Zusammenhang mit Bogenfragmenten auch sogenannte «Bogenschuhe» – ähnlich den Lanzenschuhen – ausgegraben. Dabei wurde erst mal angenommen, dass der Bogen beim Abschuss zur Stabilisierung wie eine Lanze in den Boden gesteckt worden sei. Diese Anwendung trägt jedoch wenig bis nichts zu einer besseren Wurfleistung eines Bogens bei, im Gegenteil. Daher wurde ein solches Fundstück in der Nähe eines Bogens vielmehr als Lanzenschuh, ohne Bezug zu einem Bogen, gedeutet.

Vielleicht war der Bogen jedoch mehr als nur eine Fernwaffe. Gerade der Langbogen war wegen seiner Grösse oft ein Hindernis, insbesondere bei der Jagd im Wald schränkte er die Bewegungsfreiheit ein. In andern Geländeformationen konnte seine Grösse dagegen einen Vorteil darstellen. So dürfte der «Bogenschuh» in gebirgigem Gelände als Spitze eines Gehstocks gedient haben. In nördlichen Klimazonen war der Einsatz als Skistock ebenfalls nicht auszuschliessen.

Wo auch immer dürfte die eiserne Spitze eines Bogens (bei englischen Langbogen die Hornspitze) wohl als Sekundärwaffe zum Einsatz gekommen sein. D.h. wenn alle Pfeile verschossen waren, stand der Bogenschütze nicht wehrlos da, sondern setzte den abgespannten Bogen als Wurf- oder Stossspeer ein. Eine entsprechende Spitze erhöhte natürlich seine «Wirksamkeit». Daraus lässt sich also schliessen: Ein Bogen mit Bogenschuh war und ist ein einfaches aber multifunktionales «Werkzeug».

Die Multifunktionalität des Bogens mit Bogenschuh stellt die Frage: Wie steht es um die Multifunktionalität meines Lebensentwurfs? Bin ich ein einseitig oder vielseitig interessierter Mensch? Eine Spezialisierung, also eine gezielt geförderte Einseitigkeit, führt im ausgewählten Bereich zu einer beträchtlichen Leistungssteigerung und einer enormen Kompetenz – z.B. Spitzensportler. Allrounder, also multifunktionale Personen verfügen über breite Fähigkeiten, gehören kaum in einem Fachbereich zur «Spitze». Sie beherrschen das Multitasking bestens. Die Herausforderungen des Lebens sind jedoch sehr vielfältig und da haben wohl die Allrounder die «besseren Karten». Wenn es in einem Bereich nicht so wie gewünscht läuft, haben sie mehr «Ausweichmöglichkeiten» um sich zu behaupten und das Leben zu gestalten. D.h. sie haben wahrscheinlich eine grössere Resilienz und vermögen mit Schicksalsschlägen besser umzugehen. Mit einigen Nachteilen müssen sich Allrounder jedoch auseinandersetzen: Wer auf allzu vielen Hochzeiten tanzt, kann sich leicht «verzetteln» und dadurch seine Leistungsfähigkeit beträchtlich vermindern. Wer an jeder «Hundsverlochete» teilnimmt, verliert seinen Blick für das Wesentliche, verliert u.a. manchmal auch das Gefühl für sich selbst und leidet indessen öfters unter Zeitnot und (innerer) Unruhe. Etwas Wesentliches zu pflegen ist unabdingbar mit einer entsprechenden zeitlichen Investition verbunden. Um nicht im «Hamsterrad» gefangen zu sein, gilt es bei aller Multifunktionalität eines nicht zu vergessen – sich selbst!

Ein Mönch wurde gefragt, warum er trotz seiner vielen Aufgaben immer so gesammelt sein könne: «Wie gestaltest du dein Leben, dass du so bist, wie du bist, so gelassen und so in dir ruhend?» Der Mönch sprach: «Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich gehe, dann gehe ich; wenn ich sitze, dann sitze ich …» Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort: «Das tun wir doch auch.» Nach einem kurzen Augenblick fügte der Mönch hinzu: «Sicher geht ihr, esst und schlaft so wie jeder andere Mensch auch. Aber während ihr geht, fragt ihr euch schon was ihr essen werdet. Während ihr esst, lenkt euch schon das Smartphone ab und wenn ihr schlafen geht, denkt ihr schon an die Herausforderungen des nächsten Tages. So sind eure Gedanken immer woanders und nicht da, wo sie eigentlich sein sollten, nämlich im Hier und Jetzt. Das Leben findet nicht in der Vergangenheit und auch nicht in der Zukunft statt. Lasst euch auf diesen Augenblick ein und ihr habt die grosse Chance, wirklich ohne Multitasking glücklich und zufrieden zu sein.»