D – Der Buchstabe der Bogenschützen

Eine gespannter Langbogen gleicht dem Buchstaben D. Zudem weist er häufig ein D-Profil auf. Und nicht zuletzt steht da noch das 3D-Schiessen auf Kunststofftiere im Raum: D-neben, D-arüber, D-arunter!

Zahlreiche weitere mit dem Bogenschiessen verbundene Tätigkeiten beginnen mit einem „D“:

D-istanzen überwinden

Der Gebrauch von Pfeil und Bogen ermöglichte es bei der Jagd oder im Krieg Distanzen zu überwinden, was zumindest im Falle der Jagd zu weniger Gefahrensituationen führte, weil man eine gefährliche Beute auf Distanz erlegen konnte.

Zwischen Göttern und Menschen liegen auch Distanzen. Um diese zu überwinden, wurde der Pfeil als Gebet in den Himmel geschossen. Umgekehrt schossen die Götter zurück, nicht nur in Form von Liebespfeilen wie Amor, sondern in Form von „Strafaktionen“ hagelte es Giftpfeile, welche Krankheiten wie z.B. Pest zur Folge hatten.

D-isziplin

Erfolge im Bogenschiessen (und nicht nur hier!) stellen sich erst ein, wenn ausreichend geübt worden ist. Aufforderungen zum Üben und Durchhalten lösen selten ein Freudengeschrei aus. Vielmehr gelten sie als mühsam, nicht mehr zeitgemäss. Aber es geht einfach nicht ohne sie, weil immer noch gilt: „Übung macht den Meister.“ Den englischen Bogenschützen wird nachgesagt, dass sie nur dank der jahrelangen, immerwährenden Übung erfolgreich gewesen seien.

D-ehnung

Damit ein Pfeil sein Ziel auch erreicht, muss er mit dem notwendigen Auszug, d.h. der Dehnung des Bogens, abgeschossen werden. Wird die Sehne zu wenig gezogen, fällt der Pfeil vor dem Ziel zu Boden oder schlägt nicht mit der notwendigen Energie ein. Wird die Sehne jedoch zu stark gezogen, besteht die Gefahr, dass der Bogen bricht.

Weder das eine noch das andere ist erfolgreich. Wer zu wenig Energie in Dehnung investiert, braucht sich nicht zu wundern, wenn er sein Ziel nicht erreicht. Und wer seine Kräfte „wie ein Muni“ einsetzt, nimmt in Kauf, dass er über das Ziel hinausschiesst, bzw. den Bogen überspannt.

D-astehen

Der Stand ist beim Bogenschiessen ein nicht zu vernachlässigender Faktor. Manchen erscheint er zweitrangig, da es doch beim Bogenschiessen vornehmlich um die Handhabung von Pfeil und Bogen gehe. Beim Hausbau spielt das Fundament wohl die grösste Rolle. Trägt es nicht, so bleibt der schönste Bau instabil und ist letztlich dem Untergang geweiht. Stand und die Haltung verdienen beim Bogenschiessen höchste Aufmerksamkeit, denn sie sind für einen erfolgreichen Schuss das, was für ein Haus ein gutes Fundament ist.

In der persönlichen Lebensführung kann auf das Dastehen ebenso wenig verzichtet werden. Sehr vielen Personen fehlt im Leben ein Standpunkt, ein tragfähiges Fundament z.B. in Form von stabilen und befriedigenden Beziehungen wie auch tragenden Werten. Dieses Fundament entsteht nicht von selbst. Man muss daran arbeiten und auch „Trockenzeiten“ d-urchhalten können.

D-iversität

Ein Bogenschütze wählt je nach Zweck einen Pfeil mit entsprechender Spitze – für die Jagd einen andern als für ein Wettschiessen. Auch bei den Bogen gibt es eine Vielfalt, sowohl in der Form als auch in der Zugstärke. Insbesondere beim 3D-Schiessen kommen je nach Situation zudem diverse Körperhaltungen zum Zuge.

„Börsengurus“ empfehlen den Anlegern Diversität – also „nicht alles über einen Leisten schlagen“ bzw. „nur auf ein Pferd zu setzen“.

Bogenschiessen motiviert daher im Lebensvollzug ebenso auf Diversität zu setzen. Jede Form von Einseitigkeit schmälert das Handlungspotenzial und somit auch den erwünschten Erfolg.

D-emokratie

Demokratie in den Zusammenhang mit Bogenschiessen zu bringen, mag abenteuerlich klingen. In antiken Kulturen galt der Bogen als königliche Waffe – oft von den Göttern an Könige als Herrschaftssymbol überreicht.

Andererseits können Pfeil und Bogen, im Gegensatz zu Schwertern, mit einfachen Werkzeugen und Werkstoffen hergestellt werden. Daher haben sie auch den Charakter der Waffe des einfachen Volkes. Diese kann im Kampf gegen Unterdrückung eingesetzt werden. Robin Hood ist diesbezüglich das Paradebeispiel. Selbst im 21. Jahrhundert hat man sich bei den Unruhen in Hongkong (2019/2020) mit Pfeil und Bogen gewehrt. Wilhelm Tell lässt sich ebenso diesbezüglich einreihen, auch wenn er eine Armbrust eingesetzt hat.

Die Bogenschützen des Mittelalters haben sich zu sogenannten „Gilden“ zusammengeschlossen. Viele Gildenregeln beinhalteten heute selbstverständliche demokratische Elemente wie Wahlen und Amtszeitbeschränkungen usw. Zudem standen sie meistens Männern wie Frauen aus allen Ständen (Schichten) offen. Nebst dem Bogenschiessen fühlten sich die Gilden der Gemeinschaft verpflichtet, indem sie religiöse, soziale und kulturelle Aufgaben wahrgenommen haben.

Obwohl sich Bogenschiessen kaum je zum Massensport wie z.B. Fussball entwickeln wird, so unterscheidet es sich doch wesentlich von jenen Sportarten, welche vornehmlich von reichen Oberschichten gepflegt wird. Zudem ist Bogenschiessen wohl eine der wenigen Sportarten, welche Behinderte und Unbehinderte auf gleicher Höhe miteinander pflegen können. Selbst Personen ohne Arme!! (Matt Stutzman – Silbermedaille Paralmypics 2012 London) schaffen es, das „Gold“ zu treffen. Bogenschiessen ist also „durchlässig“ und verbindend, trägt viel zur Verwirklichung von Inklusion (D.h. kein Mensch wird auf Grund seines Geschlechts, Hautfarbe usw. ausgeschlossen, ausgegrenzt oder an den Rand gedrängt werden. Inklusion ist zudem verknüpft mit den Ansprüchen auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität.) bei.

D-ankbarkeit

Für prähistorische Menschen war das Jagdglück für das Überleben entscheidend. Fehlschüssen folgte nicht selten der Hunger. Umso mehr wurde den Göttern gedankt, wenn die Jagd von Erfolg gekrönt war. Zeugen dieser Dankbarkeit dürften die steinzeitlichen Höhlenzeichnungen sein, welche die Freude über eine gelungene Jagd zum Ausdruck bringen.

Heutige Bogenschützen sind von dem Druck befreit, Jagdbeute nach Hause bringen zu müssen. Niemand braucht nach einem Fehlschuss mehr zu hungern. Weshalb nicht dafür dankbar sein?

Zum japanischen Kyudo-Ritual gehören selbstverständlich Verbeugungen. Sie drücken u.a. Dankbarkeit aus, dass man am Schiessen teilnehmen darf, für die Anteilnahme der anderen Teilnehmenden und für den sicheren Abschluss des Schiessens.

Obwohl Bogenschiessen eher eine Einzelsportart darstellt, ist das Schiessen miteinander in Gemein- und Freundschaft ein nicht zu unterschätzender Faktor. Statt Einsamkeit Dankbarkeit für das Zusammensein mit Gleichgesinnten!

Und findet ein Pfeil den Weg „ins Gold“ oder „ins Kill“, so darf man sich mit gutem Gewissen darüber freuen. Geht jedoch mal ein Pfeil daneben, dann ist das nicht gleich der Weltuntergang. Die Bibel bezeichnet die Zielverfehlung in ihrer Sprache als „Sünde“, jedoch nicht im Sinne eines moralischen Missstandes, sondern … einfach daneben. Ein Beweggrund, es nochmals zu versuchen und den Kopf nicht hängen zu lassen. Diese neue Chance wird als „Gnade“ bezeichnet – ein Grund für Dankbarkeit.

Bogenschiessen funktioniert nicht ohne das zentrale Element „Loslassen“. Dies nicht nur im physikalischen Sinn, den Pfeil loslassen, sondern auch im mentalen, psychischen Bereich: Loslassen von Erwartungen, Zwängen etc. Statt sich immer mehr durch Vorsätze zu belasten, sollte man innerlich loslassen. Aus dieser Erfahrung der Freiheit erwächst Dankbarkeit. Sie drängt dazu, sich kenntlich zu erweisen, sie motiviert. Wer sie erfährt, dem wird es wichtig, Verantwortung zu übernehmen: Für die Schöpfung genauso wie für andere Menschen.

Mit diesem Impuls möchte ich auch meine persönliche Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Ich danke allen, welche mich – bewusst oder unbewusst – auf dem «Weg des Bogens» begleitet und mir durch das meditative Bogenschiessen einen neuen Zugang zur Spiritualität eröffnet haben.